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Das Interview wurde am 6.10.2006 veröffentlicht.

Steckbrief
Name: Jens Petersen
Alter: 46
Karriere: Amiga Joker, Amiga Public Domain


?: Fangen wir mal von ganz vorne an: Wie hat deine Karriere begonnen als Redakteur?
jp: Ich hatte mir damals, als glühender Amiga-Fan, natürlich die Erstausgabe gekauft. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, da gab's eine Suchanzeige. Ich habe mich sofort beworben und war dann ganz schnell dabei. Wenn man weiß, dass Michael und Brigitta das Ganze im Keller ihres Hauses gestartet hatten, ist wohl nachvollziehbar, dass man damals recht gute Chancen hatte, genommen zu werden. "Freie" werden halt nur für tatsächlich Abgeliefertes bezahlt. Davor, während und danach war ich verantwortlicher Redakteur eines Wochenblatts in Schleswig. Daraus ergab sich dann sogar eine intensivere Zusammenarbeit: Der Joker sponserte Spiele, dich ich dann – natürlich mit entsprechender namentlicher Würdigung – in meinem Wochenblatt verloste.
?: Wie war damals die Anfangszeit beim Joker? War das mehr eine Goldgräberstimmung?
jp: Für mich war das ungeheuer spannend. Ich war ja meiner "Freundin" völlig verfallen – und dann noch zur journalistischen Avantgarde gehören zu dürfen! Der Zeitschriftenmarkt nicht nur rund um den Amiga explodierte damals ja regelrecht, nachdem auch der PC langsam als Spielemaschine zur Geltung kam (als "Arbeitsgerät" hatte ich damals einen hochmodernen 386 SX 25 – das zu den Fähigkeiten, die der PC damals im Vergleich hatte...).
Was den Joker angeht, merkte man Michael seine Begeisterung für den Amiga natürlich an. Man muss ja schon (positiv) bekloppt sein, wenn man als Existenzgründung ausgerechnet ein Spielemagazin auf den Markt bringt.
?: Wie hast du Michael Labiner bzw. die ehemaligen Kollegen in Erinnerung? War er ein strenger Chef oder war alles mehr familär?
jp: Ich hatte zum Verlag ja nur eine Telefon- und Postbeziehung. Zwischen uns lagen so um und bei 1.000 Kilometer. Die Telefongespräche mit Michael waren stets locker, freundlich und produktiv. Natürlich hatte er eine eigene Vorstellung von lockerer Joker-Schreibe und hat dann auch manchen Text etwas überarbeitet. Aber Kürzen und Überarbeiten sind nun mal Dinge, mit denen man als "Freier" leben muss/musste. Ich habe ja selbst "auf der anderen Seite" gesessen und Texte redigiert.
?: Du warst ja nicht nur beim Joker Verlag freier Redakteur, wo hast du noch gearbeitet?
jp: Das gab es kurzzeitig noch ein anderes Magazin, die Amiga Public Domain. Auch für die habe ich Software getestet und Artikel geschrieben. Leider hat auch dieses von der Idee her interessante Magazin es nicht geschafft. Und dann war da noch eine freie Mitarbeit bei Radio Schleswig-Holstein.
?: Wieviel verdiente man als freier Redakteur?
jp: Das waren natürlich keine Reichtümer. Für einen kurzen Spieletest – so eine knappe halbe Seite – blieb das, soweit ich mich erinnere, im oberen zweistelligen DM-Bereich, je nach Zeilenzahl.
?: Warum hast du den Joker verlassen? Wie hast du dir später deine Brötchen verdient?
jp: Eigentlich hat der Joker mich verlassen. Ich denke, das hatte mit der zunehmenden Professionalisierung des Verlags – und natürlich der großen Entfernung zu tun. Der Joker vergrößerte mehr und mehr das Redaktionsteam, und da war der eine oder andere "Freie" nachher einfach "über". Eine ausdrückliche Trennung hat es aber nie gegeben, ich fühle mich also immer noch im Herzen als Jokerianer. Und zudem gab es in der Zeit auch das Angebot an mich, als fester Redakteur beim Verlag zu arbeiten. Das habe ich aber aus familiären Gründen abgelehnt. Mann, ich hätte dazu wirklich Lust gehabt! Nach der Zeit beim Wochenblatt kam eine zweijährige Arbeitslosenphase, während der ich jedoch weiter als freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und Zeitschriften etwas dazu verdienen konnte. Später gab es dann Tätigkeiten beim Rundfunk und bei der Jugendarbeit im Internats- und Heimsektor, bevor ich dann endlich in meinem angestammten Beruf als Lehrer Anstellungen fand. Seit ein paar Jahren bin ich nun im Schuldienst – und trauere der Amiga-Zeit hinterher...
?: Was ist mit den getesteten Spielen passiert die du bekommen hast? Konntest du diese behalten?
jp: Nein, die habe ich zurückgeschickt.
?: Wieviel Prozent hast du von deiner Arbeitszeit gespielt und wieviel hast du geschrieben?
jp: Ich war natürlich daran interessiert, möglichst viel zu spielen und möglichst schnell zu schreiben. Je nach Spiel musste ich für ein ausführliches Urteil so zwischen fünf und 30 Stunden (netto!) spielen. Das Schreiben nahm im Vergleich dazu wenig Zeit ein, so zwei bis drei Stunden für den eigentlichen Artikel. Die Grenzen sind aber fließend, man macht sich ja auch während des Spielens Notizen.
?: Wie genau kann man sich den Tag eines freien Redakteurs vorstellen? Rief der Joker-Verlag jeden Tag an ob du Zeit hast um Spiel zu testen? Oder wie lief das normal ab?
jp: Wie ich weiter oben schon geschildert habe, tauschten wir uns ja nicht nur über Schreibaufträge aus, sondern auch über die Verlosungsartikel etc. Ich schätze, dass damals im Schnitt zwei Telefonate in der Woche anlagen. Michael fragte an, ob ich ein Spiel testen würde, ich habe dann natürlich immer ja gesagt, und dann schickte er mir das Spiel zu. Der eigentliche Testzeitraum war natürlich wegen des Redaktionsschlusses relativ eng – aber wir hatten damals ja alle irgendwie so einen Pioniergeist, so dass andere Dinge zurücktreten mussten. War schon eine harte Zeit damals (schmunzelt).
?: Wie lange wurde ein Spiel normalerweise getestet (insbesondere Rollenspiele!)? Benutzte man da auch öfters Cheats um schneller fertig zu werden?
jp: Das habe ich oben schon weitgehend beantwortet. Rollenspiele habe ich damals (leider!) nie getestet, das lief in der Regel über die festen Redakteure. Cheats habe ich nie benutzt. Für mich war es selbstverständlich, das "originale" Spielgefühl, das auch Otto Normalzocker erlebt, mitzunehmen und im Test wiederzugeben.
?: Habt ihr auch die Konkurrenzmagazine gelesen und deren Testberichte mit euren verglichen?
jp: Klar habe ich etliche andere Magazine gelesen, und auch meine Testberichte später mit den Mitbewerbern verglichen. Ich lag da eigentlich immer ziemlich gut.
?: Hast Du noch Kontakt zu alten Redaktions-Kollegen?
jp: Nein, keine.
?: An welche/n Test/s kannst du dich noch gut erinnern, und welches Spiel hat dich damals am meisten aufgeregt? Dein Favorit?
jp: Ich kann mich an zwei Berichte jetzt, beim Wiederlesen, gut erinnern. Das eine war der Test zu "Turtle Table Tennis" (oder so ähnlich), das ist aus heutiger Sicht grottig, war damals aber leidlich amüsant. Das andere war hochinteressant: Mit meiner damaligen Rockband, der "Pearson Brother$ Band", habe ich zeitweise den Amiga mit einer externen Midi-Schnittstelle als eine der ersten deutschen Bands auf der Bühne eingesetzt. Das wurde im Joker doppelseitig gewürdigt. Ungeheuer spannend fand ich damals das "Fairy Tale Adventure", das mich wirklich monatelang beschäftigt hat, und "Bard’s Tale". Auch das habe ich dauergezockt. Genial fand ich darüber hinaus das ebenso schöne wie gewaltlose "Loom", "Monkey Island", "Zak McKracken" und natürlich die Larry-Laffer-Adventures. Auf dem C 64 erinnere ich mich noch gern an "Zaxxon" und "Impossible Mission". Ach, und natürlich die ersten "Siedler"-Teile!!!
?: Welches System war damals dein Liebling, und welche besitzt du heute noch? Benutzt du diese noch, und wenn ja, wie oft?
jp: Amiga! Heute besitze ich noch ein Nintendo 64, das ich aber bestimmt schon anderthalb Jahre nicht mehr benutzt habe.
?: Was hältst du von Emulation? Spielst du sogar ab und zu mit einem Emulator?
jp: Ich finde den WinUAE klasse und ertappe mich manchmal dabei, alte Amiga-Games wie "Giana Sisters" zu zocken. Natürlich besitze ich die CDs "Amiga Classix".
?: Wie beurteilst du den derzeitigen Zeitschriften- und Spielemarkt?
jp: Aus meiner Sicht ist das alles viel zu professionell, kalt und in den Klauen von Kaufleuten und Marketingfachleuten. Die lustigen Bilduntschriften, Kolumnen und Leserbriefspalten in einigen dieser Blätter können nicht darüber hinwegtäuschen, dass nur noch kommerziell gedacht wird. Große Verlage haben den Markt unter sich aufgeteilt. Zwei Namen möchte ich nennen, die dennoch Gutes leisten: Reiner Rosshirt und Harald Fränkel. Es gab vor einiger Zeit mal die "PC-Tricks" – die fand ich gut. Das war so ein bisschen anarchistisch aufgemacht und atmete ein wenig vom alten Jokergeist.
?: Was müsste geschehen, damit die heutigen Spiele auch wieder "kultig" werden können?
jp: Dazu braucht's in erster Linie eine originelle Spielidee. In den letzten Jahren wird der Markt mit immer gleicher Dutzendware überschwemmt. Zurzeit sind es die Kriegsspiele. Kultcharakter würde ich Spielen wie "Diablo", "Black and White", "Dungeon Master" oder den "Sims", vielleicht auch noch „Serious Sam“ zubilligen. Die sind alle irgendwie eigenständig und gegen den Mainstream entwickelt worden.
?: Wie denkst du über den Unterschied zwischen den Computerzeiten damals und heute? Bist du retro?
jp: Mir fehlt heute ein bisschen der Pioniergeist aus der Zeit, als man beispielsweise beim C 64 seitenlange Listings aus Zeitschriften abtippte, oder als wieder einmal eine geniale Zusatzplatine für den Uhrenport des Amiga erschien. Fast jeder, der ein solches Gerät besaß, versuchte in irgendeiner Form daran herumzubasteln, irgendwelche Zusatzfunktionen zu implementieren. Beim PC kauft man halt eine Karte, steckt sie rein – und das war's. Schade. So gesehen, bin ich wohl ein bisschen retro. Da ich aber auch viel beruflich am PC arbeite, bin ich aber ganz froh, eine flott und locker funktionierende Maschine zu haben.
?: Wie denkst du über Retro-Fanatiker wie uns? Ist das cool oder haben wir doch nur alle 'nen Schuss?
jp: Wahrscheinlich habt Ihr alle einen Schuss, aber wenn's Euch nicht gäbe, müsste man Euch erfinden. Ich habe ja mal in einem Anfall von Aufräumwut traurigerweise meine Jokersammlung entsorgt. Heute bin ich daher froh, dass es diese Kultseiten im Web gibt!
?: Danke für das Interview Jens, ich wünsche dir noch viel Erfolg in deinen weiteren Leben.


Interviewer war Kultboy. Das Copyright des Interviews unterliegt Kultboy sowie Jens Petersen,
eine Kopie hiervon darf nur mit Genehmigung gemacht werden!
User-Kommentare: (8)Seiten: [1] 
01.12.2006, 22:07 bomfirit (580 
monty mole schrieb am 30.11.2006, 22:05:
Ich denke mal aus der heimischen Garage / Keller kann man heute kaum noch was reissen.


Sei doch froh. Ich war heute auf einer Veranstaltung auf der Chris Crawford (lustiger Typ übrigens) einen Vortrag hielt. Ich kann ihn nur so ungefähr zitieren: "At that time every idiot in a Garage was able to make games, and some of them do that."
Kommentar wurde am 01.12.2006, 22:08 von bomfirit editiert.
30.11.2006, 22:05 monty mole (1139 
Hab zwar nicht wirklich den Bezug zum AmigaJoker, aber ein sehr schönes Interview. Heute ärgert man sich echt das man damals "nur" gezockt hat und nicht lieber programmieren lernte. Die Pionierzeit der Computerspiele ist heute leider wirklich vorbei. Ich denke mal aus der heimischen Garage / Keller kann man heute kaum noch was reissen.
08.10.2006, 14:22 kultboy [Admin] (11495 
@Dave
Beim nächsten mal kommt das berühmte "Table Tennis Simulation".
08.10.2006, 01:11 DaveTaylor (2059 
Würd gern mal ein paar Tests von Herrn Petersen lesen, sind leider noch keine online.
06.10.2006, 17:34 Pearson (206 
Greg Bradley schrieb am 06.10.2006, 14:28:
Wahrscheinlich habt Ihr alle einen Schuss, aber wenn's Euch nicht gäbe, müsste man Euch erfinden.

Genau, he he he...

So, so, ein (Amiga-)retrozockender Lehrer also. Cool. Meine Lehrer waren alle doof und hatten nur das dröge "Word" und "Sinnlos 3.1" im Kopf.

A propos Beruf, kann es sein, dass Du nebenbei noch ein zweites Standbein als Quelle-Küchenberater hast? Der Kerl, den meine Freundin und ich da neulich im Haus hatten wegen der neuen Einbauküche... also dem Foto nach zu urteilen, könnte ich schwören, das warst Du!!

Ebenfalls ein sehr interessantes Interview. So zieht man den unterschiedlichen Verlauf der einzelnen Karrieren. Während Borgi noch ganz dick drin ist, hat Petersen keinen Kontakt mehr zur "Szene" und ist schon längst in einem völlig anderen Berufsfeld tätig.

In einem Punkt sind beide aber einig:
Um dem Markt wieder Kultfaktor einzuhauchen, braucht es durchgeknallte Pioniere und Anrachisten!!

Ich gehe mal raus, gegen das System demonstrieren und ein paar Steine auf's Rathaus werfen. Vielleicht bewege ich damit ja etwas...


Du hast mit Deinen Steinen eine große Bresche in die Mauer des Rathauses gebrochen. Von drinnen ertönt urzeitliches Gebrüll. Willst Du
a) Warten und das Monster bekämpfen?
b) Die Beine in die Hand nehmen und laufen?
c) Mit dem Handy Hilfe herbeirufen?
oder d) Einen Eiszauber aussprechen?

(so fing's bei mir mal an...;-)))

PS: Küchenberater fehlt noch in meiner bunten Sammlung...
Kommentar wurde am 06.10.2006, 17:35 von Pearson editiert.
06.10.2006, 14:28 Greg Bradley (2567 
Wahrscheinlich habt Ihr alle einen Schuss, aber wenn's Euch nicht gäbe, müsste man Euch erfinden.

Genau, he he he...

So, so, ein (Amiga-)retrozockender Lehrer also. Cool. Meine Lehrer waren alle doof und hatten nur das dröge "Word" und "Sinnlos 3.1" im Kopf.

A propos Beruf, kann es sein, dass Du nebenbei noch ein zweites Standbein als Quelle-Küchenberater hast? Der Kerl, den meine Freundin und ich da neulich im Haus hatten wegen der neuen Einbauküche... also dem Foto nach zu urteilen, könnte ich schwören, das warst Du!!

Ebenfalls ein sehr interessantes Interview. So zieht man den unterschiedlichen Verlauf der einzelnen Karrieren. Während Borgi noch ganz dick drin ist, hat Petersen keinen Kontakt mehr zur "Szene" und ist schon längst in einem völlig anderen Berufsfeld tätig.

In einem Punkt sind beide aber einig:
Um dem Markt wieder Kultfaktor einzuhauchen, braucht es durchgeknallte Pioniere und Anrachisten!!

Ich gehe mal raus, gegen das System demonstrieren und ein paar Steine auf's Rathaus werfen. Vielleicht bewege ich damit ja etwas...
06.10.2006, 14:03 lemmy07 (676 
Mir fehlt heute ein bisschen der Pioniergeist aus der Zeit, als man beispielsweise beim C 64 seitenlange Listings aus Zeitschriften abtippte,


Also das Abtippen von Listings fehlt mir in der heutigen Zeit ganz sicher nicht!
Aber ich weis was er meint, irgendwie habe ich daran auch schöne nostalgische Erinnerungen. Vor allem das Erfolgserlebnis wenn man nach dem Abtippen endlich alle Fehler aufgespürt und ausgebessert hatte...
06.10.2006, 09:23 Elvis (125 
Super, danke schön
Seiten: [1] 


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