Sehr cooler Agentenkrimi vor der Kulisse der schicksalhaften Jungfernfahrt der
RMS Titanic.
Aufgrund inhaltlicher Defizite mag dieser Titel heute etwas in Vergessenheit geraten sein, seinerzeit war er durch seine enorm detaillierte Nachbildung des Luxusliners in aller Munde, war doch das hierfür erstellte 3D-Modell die detaillierteste Nachbildung der Titanic, die es in digitaler Form gab. Verständlicherweise hat man längst nicht alle Räume nachgebildet; abgesehen vom astronomischen Aufwand hätte es den Spieler auch mit Komplexität erschlagen. Die Reduzierung auf die markantesten Schauplätze (das große Treppenhaus darf natürlich nicht fehlen) war definitiv der richtige Schritt.
Generell sind dem Spiel auch die Limitierungen anzusehen, die durch die Arbeit in einem kleinen Team und die damalige Technik vorgegeben sind: Das pulsierende Leben auf der Titanic ist größtenteils drückender Stille gewichen; man mag kaum glauben, dass über 2.200 Leute an Bord sein sollen. Zwar begegnet man immer wieder gesprächsfreudigen Charakteren, aber dazwischen stehen immer wieder lange, menschenleere Verbindungswege. Zwar hat man sich mit dem Alibi beholfen, dass aufgrund der Kälte die Passagiere früh schlafen gegangen wären, dennoch habe ich so meine Zweifel, dass sich ab 23 Uhr nur noch ca. 30 Leute vor ihre Kabinentür gewagt haben sollen. Ferner hat man - wahrscheinlich aus Pietätsgründen - davon abgesehen, historische Persönlichkeiten miteinzubeziehen; auf einen Plausch mit Captain E. Smith, Thomas Andrews, Bruce Ismay oder Benjamin Guggenheim muss man verzichten, sie werden nur indirekt in Dialogen erwähnt.
Dadurch wirkt die Szenerie leider nicht so dynamisch, wie man es sich bei dem Hintergrund wünschen würde - gerade das Finale leidet darunter.
The Last Express - das sich als Vergleichswerk regelrecht aufdrängt - erschafft mit einem kleineren Cast an Figuren ein deutlich lebendigeres Treiben, weil diese sich ein wesentlich kleineres Areal teilen, und Begegnungen daher zwangsweise nicht ausbleiben. Im Gegenzug belastet
Titanic den Spieler nicht mit einer fortwährend tickenden Uhr (außer im Finale): Zwar kann man auch hier eine Taschenuhr zuschalten, aber der Zeitverlauf wird durch Events vorangetrieben - Dialoge vor allem, oder Interaktionen mit Gegenständen. Ferner wird man nicht so rigoros wie in Jordan Mechners Werk bestraft, wenn man mal nicht zur vorgegebenen Zeit an einem bestimmten Ort anwesend ist. Es kann zwar durchaus vorkommen, dass Schlüsselgegenstände bei zu langem Herumtrödeln verschwinden, doch diese Rückschläge sind nur zeitweilig, und können später wieder ausgeglichen werden. Überhaupt gibt es einige Subquests, die man im ersten Durchspielen gar nicht bemerkt. Die Non-Lineare Struktur funktioniert und macht Lust auf mehrfaches Durchspielen.
Wer aber gern beinharte Rätselkost goutiert, wird hier hungrig vom Tisch gehen. Es gibt zwar ein Inventar, im Wesentlichen sammelt man aber nur Gegenstände ein, und lädt sie andererorten wieder ab; sie miteinander kombinieren ist nicht drin. Ab und an gibt es auch sehr einfache Logik-Puzzles zu lösen, wobei ich hier wiederum den geringen Anspruch begrüße - diese Art Rätsel empfand ich schon immer als überflüssigen Bremsklotz. Zwei Action-Passagen gilt es auch zu überwinden, aber besondere spielerische Substanz wird zu keiner Zeit geboten. Bevor der Plot sich verdichtet, drückt dazu noch eine etwas langatmige Stimmung auf die Motivation, die von durchwachsener Musikbegleitung und manchmal ausschweifenden Dialogen geprägt ist.
Diese Störfaktoren lassen das Spiel zwar nicht am Eisberg zerschellen, verhindern aber einen Aufstieg in die oberste Wertungsliga. Sei's drum: Nach einiger Zeit ist man gut im Geschehen drin, und der betriebene Rechercheaufwand beeindruckt auch heute noch. Mich hat
Titanic: An Adventure out of Time jedenfalls dazu animiert, mich ein bisschen in die Hintergründe einzulesen. Bedauerlich, dass Hersteller Cyberflix nicht an diesen Erfolg anknüpfen konnte.
7/10 Eiswürfel
Wen die Materie interessiert, der sollte
Titanic: Honor & Glory im Blick behalten. Mit den heutigen Mitteln ein solches Spiel zu inszenieren wäre nicht weniger als spektakulär.
http://www.titanichg.com/